Franziska Börner
Das wissenschaftliche Interesse an der Iberischen Halbinsel hat eine lange Tradition in Deutschland. Deutsche Forscher und Gelehrte haben früh damit begonnen, Aspekten der spanischen Kultur auf den Grund zu gehen, sei es im Bereich der Sprache, Literatur, Kunst oder Politik. Bis heute haben sie damit einen entscheidenden Beitrag zur Wahrnehmung und Rezeption Spaniens in Europa geleistet. Neben Literaten und Naturwissenschaftlern waren es vor allem Kunsthistoriker, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt das Land bereisten und gezielt Feldforschung betrieben. Die dabei entstandenen Aufzeichnungen, Tagebücher, Reiseberichte, Dokumentationen und späteren Publikationen haben entscheidenden Einfluss auf die Rezeption der spanischen Kunst und Kultur in Deutschland und darüber hinaus gehabt. Die deutsche Reiseliteratur über Spanien ist bereits Gegenstand zahlreicher literaturwissenschaftlicher Untersuchungen gewesen, die Reisebeschreibungen und Schriften von kunsthistorischer Seite aus hingegen nicht. Mit dieser Arbeit wird ein Überblick geschaffen, der exemplarisch die Hauptentwicklungslinien der kunsthistorischen Spanienrezeption nachzeichnet und in einen breiteren Kontext insbesondere im Zusammenhang mit der Imagologie und Literaturwissenschaft stellt. Die zu untersuchenden Texte sind Ergebnis einer konstruierten Reiseerfahrung, die insbesondere durch das jeweilige Spanienbild des Autors und die kunstpolitische Auseinandersetzung mit demselben geprägt ist. Die Untersuchung der Quellentexte konzentriert sich somit auf die folgenden Punkte: o Analyse und Charakterisierung des jeweiligen im Quellentext formulierten Spanienbildes als imagologisches Paradigma. o Analyse der Darstellung der spanischen Kunst und Künstler in den Quellentexten und der damit verbundenen Entwicklung von spanischen Künstlermythen im Untersuchungszeitraum, die wiederum in Wechselwirkung mit der Entwicklung des Spanienbildes stehen. o Analyse der kunstpolitischen Aussage des jeweiligen Autors im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Kunstdebatte, insbesondere auch im Vergleich der spanischen Kunst mit anderen Kunstnationen Europas und deren Bedeutung für die Moderne. Bei den zu untersuchenden Quellentexten dieser Arbeit handelt es sich sowohl um kunsthistorische Forschungsliteratur als auch um literarische Reiseberichte und -briefe von Kunsthistorikern oder Kunstkritikern. Hiermit treffen das Gebiet der Reiseliteratur und das der wissenschaftlichen Kunstgeschichtsschreibung in einem Thema aufeinander und fast alle Quellentexte bewegen sich zwischen wissenschaftlicher Dokumentation und literarischer Fiktion. Es gilt daher zunächst den Stand der Reiseliteraturforschung über Spanien zu prüfen und respektive des genannten Forschungszeitraums den kunsthistorischen Forschungsstand zur spanischen Kunst und zu den deutschen Kunsthistorikern, die über Spanien geforscht haben, zusammenzufassen, um schließlich anhand einer exemplarischen Textauswahl ein aussagekräftiges Ergebnis sowohl für die Kunstgeschichte als auch für die Imagologie zu erhalten. Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut und beginnt mit einer Vorbetrachtung über die Entwicklung des Spanienbildes und die frühen wissenschaftlichen Reisen der Familie Humboldt um 1800. Darauf folgen vier Hauptthemenblöcke: Zunächst wird das Phänomen des Orientalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrachtet. Daran schließt eine exemplarische Darstellung des Begreifens der spanischen Identität um die Jahrhundertmitte am Beispiel von Johann Gottlob von Quandt und dessen spätromantischen Reiseberichts an. Als Drittes werden sowohl Carl Justis Reiseerfahrung anhand von dessen Reisebriefen als auch sein Schlüsselwerk, die Velázquez-Monographie (1888), hinsichtlich seines Spanienbildes und der Bildung von Künstlermythen untersucht. Der vierte Themenblock konzentriert sich auf die Spanienreise des Kunstkritikers Julius Meier-Graefe, die dortige Mythifizierung El Grecos und deren Bedeutung im Kontext der zeitgenössischen Kunstdebatte um Impressionismus und Expressionismus. Den Abschluss der Arbeit bildet ein Ausblick auf die historischen Romane Lion Feuchtwangers, die Themen der spanischen Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaft zum Gegenstand haben und einen überzeitlichen, grenzenüberschreitenden Bezug herstellen. Die historische Reflektion Feuchtwangers und der kritische Bezug zur Gegenwart sind hierbei im Zusammenhang mit der ebenfalls historischen Rückbesinnung der kunsthistorischen Forschungsarbeit zu Spanien zu sehen, die stets in direkter Wechselbeziehung mit der zeitgenössischen Debatte und Situation des Autors zu verstehen ist.
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