Es gäbe „allgemeine Grundsätze der Wissenszurechnung“. So oder so ähnlich liest es sich des Öfteren in zivilrechtlichen Veröffentlichungen und gerichtlichen Entscheidungen des letzten Jahrzehnts, die sich mit dieser zunehmend ihre ganze Bedeutung offenbarenden Rechtsfrage befassen. Ein reichlich kühner Befund vor dem Hintergrund, dass nur eine einzige Norm des BGB den Begriff der „Zurechnung“ aufgreift – wohlgemerkt allein im rechtsgeschäftlichen Kontext und nur in der amtlichen Überschrift, nicht im Normtext selbst.
Tatsächlich wird die dogmatische Durchdringung der weder auf das Zivilrecht noch auf die Zurechnung von Wissen beschränkten Problematik ihrer tatsächlichen Bedeutung bislang nicht ansatzweise gerecht. Dies ist nicht nur aus rechtstheoretischer Sicht bedauerlich, sondern führt auch in der Praxis zu erheblichen Missständen, lädt doch die gewisse Beliebigkeit der Handhabung gerade im Zusammenhang mit gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Großverfahren viele Parteivertreter dazu ein, unter Berufung auf vermeintlich „allgemeine Grundsätze“ eine vom Normzweck der jeweiligen Haftungstatbestände nicht mehr gedeckte und Friktionen mit anderen Rechtsgrundsätzen provozierende Rundumhaftung von Großunternehmen zu behaupten.
Der nachfolgende Beitrag will seinen Teil zur weiteren Klärung leisten und setzt dazu nicht am vermeintlich gewünschten Ergebnis, sondern an der Wurzel an. Ausgehend vom Begriff der Zurechnung, ihrem Sinn und Zweck sowie den vereinzelten gesetzlichen Bestimmungen zeigt er auf, dass, wenn es denn einen allgemeinen Grundsatz der Zurechnung gibt, dieser doch allein darin liegen kann, dass es mit pauschalen, vermeintlich allgemeingültigen Antworten nicht getan ist, sondern die Frage der Zurechnung vielmehr stets fachsäulen- und normkontextabhängig zu beantworten ist. Wie Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Zurechnung vom jeweiligen Regelungszusammenhang bestimmt werden, wird abschließend anhand der sich im Rahmen der kapitalmarktrechtlichen Fehlinformationshaftung nach §§ 97, 98 WpHG Zurechnungsfragen exemplarisch dargestellt.
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