Ist Deutschland auf dem Marsch vom Rechtsstaat in den "oligarchischen Richterstaat"? Entziehen sich die Richter systematisch ihrer Bindung an das Gesetz und glauben, klüger zu sein als der Gesetzgeber? Dies wird behauptet. Ursache sei die richterlich praktizierte Auslegung der Gesetze nach objektiv-teleologischen Kriterien, die dem Willen des Gesetzgebers nicht den ihm von Verfassungs wegen gebührenden Stellenwert beimesse. Diese Kritik verkennt, dass der Richterstaat keine negative Konnotation verdient, sondern die Konkretisierung des Rechtsstaates ist. Er ermöglicht es, dass die Funktionseinheit von Gesetzgeber und Richter den rasanten gesellschaftlichen, ökonomischen, technischen und wissenschaftlichen Veränderungen unserer Zeit angemessen Rechnung tragen kann. Die Kritik lässt außerdem die Europäisierung der Gesetzgebung außer Betracht, die zu einer Europäisierung der Gesetzesauslegung zwingt.
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